Berufung finden: 5 Fragen an Martin Barnreiter.
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Juni, 2022, 3 Min
Martin Barnreiter hat 17 Jahre Berater- und Analysten-Erfahrung in der IT-Branche. Er war zudem viele Jahre als Personalleiter tätig. Seit 2006 begleitet er als Business Coach und Trainer vor allem Führungskräfte bei ihrer beruflichen Entwicklung und Neuorientierung. Seine Arbeitsweise ist strukturiert, empathisch und systemisch. Im Zentrum steht der Mensch und die Begleitung hin zu mehr Selbst-Bestimmtheit in allen Lebenslagen. Dabei greift er auf die Kenntnisse aus seinen Fortbildungen zum Systemischen Business Coach (SBC®), Moderator und Mediator zurück.
Wir haben mit Martin Barnreiter über das Thema „Berufung finden“ gesprochen. Wir haben ihn danach gefragt, inwiefern die Pandemie den Blick auf unsere Berufserwartungen verändert hat, was der Unterschied zwischen Beruf und Berufung ist und ob es die „wahre“ Berufung überhaupt gibt. Welche Tipps er seinen KlientInnen gibt, um die eigene Berufung zu finden, erfahren Sie in diesem Beitrag.
5 Fragen an Martin Barnreiter
Der nachstehende Text basiert auf einem digital geführten Interview.
Verändert die Pandemie den Blick auf unsere Berufserwartungen nachhaltig?
Ja, definitiv. Im Rahmen von Beratungen und Coachings höre ich seit zwei Jahren vermehrt: „Ich möchte etwas machen, was Sinn macht.“ Umfragen zeigen, dass sich erstaunlicherweise viele Menschen auf den Weg gemacht haben etwas Neues anzufangen. Dabei könnte man doch meinen, in einer Krise ist es sicherer zunächst dort zu bleiben, wo man ist.
Im Prozess von Outplacement-Beratungen erlebe ich da zum Teil überraschende Kehrtwendungen. Eine Klientin wollte beispielsweise unbedingt in ihrem bisherigen Beruf bleiben – wo sie bereits erfolgreich war und ihre Stärken kannte. Nach einigen Beratungen kam bei ihr dann der Wunsch auf, mehr mit Menschen zu arbeiten, näher dran zu sein an KundInnen/KlientInnen. Auch entwickelt sich häufig der Wunsch, in einem Unternehmen zu arbeiten, das für eine positive Zukunftsausrichtung steht.
Es muss nicht immer der große Wechsel in der Position sein. Oftmals genügt es, dem bisherigen Berufsbild neue Facetten hinzuzufügen, damit die neue Aufgabe runder, sinnvoller und erfüllter wird. Wer näher an seinem Lebens-Sinn arbeitet, lebt auch gesünder. Das ist ein positiver „Nebeneffekt“.
Was ist der Unterschied zwischen Beruf und Berufung?
Zu einem Beruf kann man sich berufen fühlen, aber gleichzeitig muss der Beruf nicht die Berufung sein. Viele haben mit dem erlernten und gewählten Beruf oft einen Gutteil dessen abgedeckt, was ihrer Berufung entspricht. In Beratungen stelle ich häufig die Frage: „Zu wieviel Prozent entspricht der bisherige Job Ihrem Traumjob (als synonym für Berufung)?“ Zugegeben, die Antwort auf die Frage, ohne genau zu wissen was der Traumjob ist, bleibt zunächst vage. Sie gibt dennoch einen Anhaltspunkt für das weitere Vorgehen. Selten höre ich mehr als 60 %.
Das war auch bei meinem alten Beruf als Marktanalyst (IT-Branche) und Berater so. Was ich gerne tat, war Wissen zusammenzutragen, Zusammenhänge herzustellen, Menschen zu beraten und Workshops zu gestalten. Allerdings fehlte mir die persönliche Entwicklung und mehr auf das Menschliche einzugehen. In der Selbstständigkeit als Coach, Berater und Trainer, bin ich heute bei meinem Traumjob angekommen.
Gibt es überhaupt die eine “wahre” Berufung?
Ja, aus meiner Sicht gibt es die. Wer in seinem Beruf aufgeht, ist bei der Berufung angekommen. Allerdings erkennen wir das bei anderen Menschen meist besser als bei uns selbst. Für sich selbst ist man oft betriebsblind oder vielleicht besser gesagt „berufungs-blind“. Viele wurden dazu erzogen, das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen oder wie der Schuster „bei ihren Leisten“ zu bleiben. Andere wiederum halten sich mit einer Tätigkeit für unwiderstehlich, weil sie sehr erfolgreich sind und bemerken so Teile ihrer Berufung nicht.
Um zur eigenen Berufung zu kommen, ist es wichtig einen Spiegel von außen zu bekommen – jemanden an der Seite zu haben, der einem die richtigen Fragen stellt.
Berufung finden: Wie gehst du mit deinen KlientInnen vor?
Es gibt zwei Wege. Der eine besteht darin zu beleuchten, worin ich richtig gut bin und was mir Spaß macht. Das sind zum einen die Stärken, die wir mitbringen und noch wichtiger, die Talente. Letztere sind einigen Menschen oft nicht bewusst, weil diese Talente für sie ganz natürlich sind. Wichtig ist es herauszuarbeiten, worin ich richtig gut bin. Einmal das Selbstbild zu beschreiben und dann noch das Fremdbild: „Wie sehen mich andere?“ Für viele KlientInnen bietet die Außenperspektive oftmals eine wahre Offenbarung und positive Überraschung. Dann gilt es danach zu schauen, in welchem Berufsbild diese Stärken gut einfließen können. In der Selbständigkeit ist das etwas leichter, da man sich seinen Lieblingsjob zusammenstellen kann. Im Rahmen einer Festanstellung braucht es da hingegen den ein oder anderen Kompromiss.
Der andere Weg liefert u.a. die Antwort auf die Frage: „Was sollte die Welt haben, was ich selbst an ihr vermisse/vermisst habe?“ Einige haben in ihrem Leben Gerechtigkeit vermisst und werden Anwalt oder Richter. Anderen fehlte das Tierwohl in der Gesellschaft und sie werden entsprechend aktiv. Alles, wo man selbst einen Mangel oder Schmerz erlebt hat, kann einen zum Experten für die Lösung machen. Diese zu teilen kann eine Bereicherung sein.
So ist eine Berufung oder Lebensaufgabe eine Mischung aus Stärken/Talenten und der Lösung für den eigenen „Weltschmerz“. Dieser Weg hört nie auf, da man immer neue Facetten der Berufung hinzufügen kann.
Coaching für “Spätberufene”: Wann ist es zu spät, sich mit seiner Berufung auseinanderzusetzen?
Nie. Früher dachten viele Menschen: „Das brauche ich jetzt auch nicht mehr anzufangen.“ Derzeit erlebe ich genau das Gegenteil. Viele KlientInnen im Alter ab 55 aufwärts wollen weiterhin arbeiten, brauchen aber nicht unbedingt das Kleingeld, um über die Runden zu kommen.
Sie haben nun die Möglichkeit, Projekte anzugehen, die sie immer schon vorhatten. Bei vielen ließen die Umstände in früheren Jahren, wie Familie oder finanzielle Herausforderungen dies nicht zu. Oftmals höre ich in Beratungen bei Menschen in jüngeren Jahren, was sie sich alles für die Rente aufheben würden. Dabei geht es nicht nur um Weltreisen oder ähnliches. Vielmehr stehen bestimmte Hobbys, Projekte oder Herausforderungen im Vordergrund. All das bietet den Stoff für die Anliegen, zu denen man sich berufen fühlen kann. Je früher desto besser.
Mein Kredo dabei: Das Geld kommt mit dem Spaß.
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